Gesang des Soldaten der roten Armee
1
Weil unser Land zerfressen ist
Mit einer matten Sonne drin
Spie es uns ausd in dunkle Straßen
Und frierende Chausseen hin.
2
Schneewasser wusch in Frühjahr die Armee
Sie ist des roten Sommers Kind!
Schon im Oktober fiel auf sie dre Schnee
Ihr Herz zerfror im Januarwind.
3
In diesem Jahren fiel das Wort Freiheit
Aus Mündern, drinnen Eis zerbrach.
Un viele sah man mit Tigergebissen
Ziehend der roten, unmenschlichen Fahne nach.
4
Oft abends, wenn im Hafer rot
Der Mond schwamm, vor dem Schlaf am Gaul
Redeten sie von kommendem Zeiten
Bis sie einschliefen, denn der Marsch macht faul.
5
Im Regen und im dunklen Winde
War Schlaf uns schön auf hartem Stein.
Der Regen wusch die schmutzigen Augen
Von Schmutz und vielen Sünden rein.
6
Oft wurde nachts der Himmel rot
Sie hielten's für das Rot der Früh.
Dann war es Brand, doch auch das Frührot kam
Die Freiheit, Kinder, die kam nie.
7
Und drum: wo immer sie auch warn
Das ist die Hölle, sagten sie.
Die Zeit verging. Die letzte Hölle
War doch die allerletzte Hölle nie.
8
Sehr viele Höllen kamen noch.
Die Freiheit, Kinder, die kam nie.
Die Zeit vergeht. Doch kämem jetzt die Himmel
Die Himmel wären ohne sie.
9
Wenn unser Leib zerfressen ist
Mit einem matten Herzen drin
Speit die Armee einst unser Haut und Knochen
In kalte flache Löcher hin.
10
Un mit dem Leib, vor Regen hart
Und mit dem Herz, versehrt von Eis
Un mit den blutbefleckten leeren Händen
So kommen wir grinsend in euer Pareideis.
[Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. Suhrkamp. Frankfurt am Main 2002]